Wangen
(sw) – Ganz bewusst hat die Wangener GOL heuer eine andere Form des politischen
Aschermittwochs gewählt: losgelöst von den Kreisgrünen und ohne eine im
politischen Rampenlicht stehende grüne Gallionsfigur. Gast der diesjährigen
Veranstaltung war der Isnyer Arzt, Schriftsteller und Friedensaktivist Till
Bastian, der zum Thema „Solidarität oder Heuchelei? Bittere Anmerkungen zur
gegenwärtigen politischen Situation“ Kritisches und Nachdenkenswertes zu sagen
hatte.
Gut gefüllt war die Häge-Schmiede am Mittwochabend – Zeichen
dafür, dass die Wangener GOL wohl richtig lag in ihrem Ansinnen, einmal andere
Aschermittwochs-Wege zu beschreiten. Gleich zu Beginn outete sich Till Bastian,
der nach eigenem Bekunden „immer - auch
im Jahr der SPD-Kandidatur - grün gewählt hat“ als Menschen, der dies „bei den
anstehenden Wahlen nicht tun wird.“
Bastians derzeitig ablehnende Haltung den Grünen gegenüber
ist in „Krieg und Frieden“ begründet, in verlorengegangener Diskussionskultur,
in Machtstreben und –erhalten. „Die zehn vergangenen Jahre“ sagt Bastian „sind
friedenspolitisch betrachtet verlorene Jahre – und die Grünen kann ich von
einer Mitverantwortung nicht freisprechen“. Als Fundament seiner Aussage nennt
Bastian nicht allein die Billigung des militärischen Auslandseinsatzes der Bundeswehr.
Auch das Einlassen auf das „parlamentarische Erpressungsmanöver“ – die
Verknüpfung der Entscheidung zum Auslandseinsatz an die Vertrauensfrage des
Bundeskanzlers – findet Bastian „bedenklich“.
Vieles wirft Bastian, der Mitbegründer der Internationalen
Ärzte gegen den Atomkrieg (IPPNW) ist, Politikern aller Couleur vor.
Beispielsweise, dass zu Zeiten der Auflösung des Warschauer Paktes und dem
Zerfall der UdSSR keine Strukturen geschaffen wurden, die kriegerischen
Auseinandersetzungen vorbeugen und das global-humane Mit- und Füreinander
stärken. „Das Wort „Friedensdividende“ machte damals die Runde – doch passiert
ist nichts.“
Auch eine verfehlte Umweltpolitik ist nach Bastians Meinung
mitverantwortlich für die Veränderungen im politischen Weltgefüge. „Vorbeugende
Umweltpolitik wäre ein Mittel zur Krisenvermeidung gewesen- doch diese Politik
hat nicht stattgefunden“. Statt dessen mündet ein amerikanisches „way of life“,
dessen Basis im ungezügelten und immer noch steigenden Verbrauch der Ressourcen
liegt, laut Bastian in einer vielleicht noch größeren Katastrophe: „Eine
wachsende Not und Verelendung, eine offenkundige Ausweglosigkeit ist der ideale
Nährboden für Terror und Fanatismus“.
Schonungslose Kritik übt Bastian auch in Zusammenhang mit
der Regierungskrise und der von den Grünen geforderten und teilweise gewährten
„bedingungslosen Solidarität“. „Solidarität“ sagte Bastian dazu „ist immer an
Bedingungen geknüpft“ und erinnerte an die Folgen „solidarischen Handelns“ zu
Zeiten der Habsburger und des Dritten Reiches.
Abschließend fasste Bastian zusammen, dass sich die
weltweite Situation in den letzten zehn Jahren verschoben hat und weiter
verschieben wird. Präventives, globales verantwortungsbewußtes politisches
Handeln ist für Bastian weitgehend nicht erkennbar. Sorge bereitet ihm auch die
einseitige militärische weltweite Dominanz einer Nation. Den Grünen wirft er
„friedenspolitisches Versagen“ vor, das für ihn persönlich „schwerwiegend“ ist.
Im zweiten Teil der Veranstaltung wurden Bastians Basisaussagen
kontrovers diskutiert. Fragen nach Bastians künftigem Wahlverhalten („Wen ich
wähle, weiß ich noch nicht“), dem seiner Meinung nach gewünschten politischen
Weg der Grünen nach dem 11. September („Es wäre klug gewesen, sich als
Militäreinsatzgegner zu outen“), einer Abwägung, ob mit grüner
Regierungsbeteiligung die Zukunft nicht doch besser in den Griff zu kriegen ist
(„Meine Meinung ist parlamentarisch schlecht repräsentiert“), und wie Politik
anders gestaltet werden könnte („Der Faszination Macht sollte mit
institutionellen Mitteln Einhalt geboten werden und über Grundsätzliches
nachgedacht und diskutiert werden“) würzten die politische Aschermittwochssuppe
der GOL.
Am Ende blieb für Gerold Fix festzustellen, dass die Vielfalt der Meinungen Gutes hervorgebracht hat und ein stetes In-Frage-stellen der eigenen Positionen durchaus richtig ist. Musikalisch umrahmt wurde der Abend von Martha Müller (Gesang) und Angelus Dillmann (E-Piano).